Akutelles

Einblicke in die Vereinsarbeit

Erfahrungsbericht aus Charkiw

Hi, mein Name ist Luca. Ich bin 23 Jahre alt und komme aus der Nähe von Kassel. Anfang Oktober bis Ende Oktober war ich im Zuge des Herbsteinsatzes vom Crisis Relief Team Germany mit in Kharkiv in der Ost-Ukraine um humanitäre Hilfe zu leisten. Anfang letzten Jahres hatte ich bereits Erfahrung mit der humanitären Hilfe an der polnischen – ukrainischen Grenze in Hrebenne gesammelt und im Frühling dieses Jahres war ich in der Westukraine unterwegs, dennoch war alles östlich hinter Rivne für mich Neuland. Während der Einsatzvorbereitung konnte ich mir kein Bild von der Lage in Kharkiv machen. 

Angehörige über
Arbeit informieren

Ich hab mich über die Stadt und die aktuelle Lage im Internet sowie über Menschen die bereits dort waren informiert, dennoch konnte ich nicht logisch einordnen wie eine Stadt. 40 Kilometer von der Staatsgrenze der verfeindeten Kriegspartei, noch steht bzw. nicht eingenommen wurden ist und natürlich fragt man sich wie der Alltag der Menschen vor Ort ist was meine Neugier weckte. Inzwischen sind wieder mehrere Menschen in die Stadt zurückgekehrt seit dem sich die Lage etwas verbesserte seit der Gegenoffensive im letzten Jahr und die Front nördlich von Kharkiv stagniert ist. Neben Material besorgen sowie nach der richtigen Formulierung suchen um seine Eltern von dem Vorhaben einzuweihen, bin ich den nützlichen Tipp nachgegangen, die Situation auf sich zukommen zu lassen, ohne in Gedanken zu versinken, die letztendlich nur intuitiv wiederspiegeln was sein könnte ohne selbst die Erfahrung zu haben wie es ist, was nicht heißen soll sich nicht auf den Einsatz vorzubereiten.

Kupjansk wird das
Einsatzgebiet sein

Anfang Oktober war es dann soweit. Nach einer langen Fahrt sind wir in Kharkiv angekommen. Unser Auftrag bestand in den ersten Wochen hauptsächlich darin zu Netzwerken, Aufklärung zu betreiben um herauszufinden wo Hilfe benötigt wird und , für diejenigen die noch nicht in Kharkiv waren, sich an die Stadt, die Situation und vor allem an die Verkehrslage anzupassen. Relativ schnell gewöhnt man sich an den Luftalarm, an die Stadt und deren Regeln. Tagsüber ist man im Tatendrang, hat viel zu tun und ist von den vielen neuen Eindrücken manchmal auch Reizüberflutet. Nachts denkt man viel über die Dinge nach, wird ziemlich geräuschempfindlich und das Einschlafen dauert auch etwas länger. So war es jedenfalls bei mir, das vergeht jedoch auch ziemlich schnell bis man ziemlich müde nach einem langen Tag sich in sein Bett schmeißt, einem fast alles egal ist, ob die Katze jetzt draußen ist oder unter deiner Decke und man einfach froh ist schlafen zu können. Relativ schnell kristallisierte sich die Region Kupjansk als Einsatzgebiet heraus. Erstaunlich war das nach den ersten zwei Tagen in Kupjansk jegliche unterschwellige Anspannung die ich vorher in Kharkiv hatte verflogen war aufgrund des Kontrastes zwischen den beiden Gebieten. Nachdem wir ein Schlafplatz sowie Ansprechpartner in der Kupjansk Region organisiert hatten kamen wir in der Dämmerung an. 


Es waren fast nur noch Soldaten in Autos unterwegs, entweder mit grünen/ roten Licht oder ohne Licht. Auch in den Häusern waren die Fenster verdeckt mit Spanplatten oder Sandsäcken. Aus den keine Menschen auf der Straße, viele Häuser zerstört oder anderweitig von Spuren des Krieges gekennzeichnet. Wie eine Geisterstadt. Bis auf die Blätter die im Wind rauschen wurde die betrügerische Stille nur von hektischen Motorgeräuschen oder etwas Dumpfen in der Ferne unterbrochen , was man, wenn man nicht in der Frontnähe wäre, vermutlich nicht als Explosion deuten würde. 

Aufgabenbereiche sind
ständig im Wandel

Eine sehr bedrückende Atmosphäre an dich ich mich erstmal gewöhnen musste. Schließlich fehlt einem am Anfang ein Vergleichswert um die Situation einzuordnen bzw. einzuschätzen abgesehen von vorkonstruierten Bildern in Filmen oder ähnlichen, doch das ist nicht die Realität. An den darauf folgenden Tagen wurden die Angriffe auf die Kupjansk Region intensiver was man auch an der Geräuschkulisse erkennen konnte oder an der Reaktion der Menschen. Als die Explosionen in einen kurzen Zeitraum fast im Sekundentakt zu hören waren, fingen zwei Mädchen an zu singen, eine ältere Dame zeigte mir Fotos von ihrem Enkelkind. Vermutlich um die Angespanntheit zu überspielen. Für die Menschen die sich entschlossen haben zu bleiben ist das Alltag geworden, sie haben sich daran gewöhnt wenn man es so nennen kann. Es ist bemerkenswert wie sich die Aufgabenbereiche dieser Menschen seit Kriegsbeginn verändert haben und die Entwicklung dahinter was sicherlich auch mit der ukrainischen Mentalität zusammenhängt. Die Aufgabenbereiche vieler Menschen vor Ort, vor allem in der Frontgegend, sind Ansammlungen von gefährlichen, lebensbedrohlichen und eigentlich außergewöhnlichen Erfahrungen die Routine geworden sind. 

Auswirkungen des Krieges
sind kaum zu bemessen

Das Surreale daran ist das es ein inzwischen normalisierten Eindruck macht, als hätte man das Kriegsgeschehen mehr oder weniger in den Alltag integriert. Es ist surreal bis man selber merkt wie schnell sich der Mensch an solche Dinge gewöhnen kann oder wie man nach und nach an die Dinge von denen man Angst oder ein mulmiges Gefühl hatte sensibilisiert wird. Aber was bleibt den Menschen vor Ort auch anderes übrig. Es ist traurig zu sehen mit welchen Fragen und Eindrücken sich teilweiße junge Menschen konfrontieren müssen. Welche Bedeutung hat es für Kinder und Jugendliche wenn sie im Krieg sozialisiert werden und was für ein Einfluss hat das in Friedenszeiten? Welche Kulturellen Einflüsse hat das wiederum. Vor Ort kann man auch erst den riesen Rattenschwanz sehen der Krieg mit sich führt. Zum Beispiel sind im Donbas und im Oblast Kharkiv die Tollwut zahlen in die Höhe gegangen aufgrund dessen das bei der Evakuierung der Menschen aus ehemaligen und aktuellen Kampfgebieten selten Haustiere mitgenommen werden, so bleiben die Vierbeiner zurück und verwahrlosen nach und nach.

Dicht an der
russischen Grenze

Krieg ist ein riesen Input, welcher ständig Fragen und Probleme aufwirft und vor allem Neugier um sich diese zu beantworten oder passende Lösungsansätze zu kreieren was dazu einlädt länger vor Ort zu bleiben. Gerne wäre ich länger geblieben und sollte es sich nochmal ergeben würde ich mir mind. Zwei Monate für einen Einsatz freihalten daher es doch etwas Zeit beansprucht bis man eingespielt ist.

Es ist viel in der Zeit passiert, neue nette Menschen kennengelernt, viele neue Eindrücke. Am ersten Morgen in Kharkiv hat uns um kurz vor sieben eine zwei Millionen Euro Rakete geweckt die wenige Blöcke von unseren Schlafplatz eingeschlagen ist, Putz ist von der Decke in mein Gesicht geflogen und ich hatte im Halbschlaf / Traum ein Bild in mein Kopf wie ein Motorradfahrer an mir vorbei driftet und deswegen Kieselsteine in mein Gesicht fliegen. Dennoch war für mich einer der eindrucksvollsten Momente als wir wenige Kilometer von Russland bei einer Erkundungstour in grenznahen Dörfern auf einer Erhöhung Russland gesehen haben. 

Wertvolle
Lebenserfahrung

Ich finde es immer noch erstaunlich dass man so nah an der russischen Grenze entlang fahren kann ohne beschossen zu werden. Die Front dort ist momentan stagniert, es wird nicht versucht Geländegewinne zu erzielen. Dennoch war das ein krasses Gefühl. Außerdem finde ich es erstaunlich wie gut die Ukraine es schafft Normalität aufrecht zu erhalten im Großteil des Landes. Häuser werden restauriert, Aufräumarbeiten laufen super schnell ab, der Alltag geht größtenteils weiter. In Kharkiv waren wir in einer Mall einkaufen und dann beim KFC essen. Später waren wir in einem Park, dort war ein Riesenrad, Familien mit ihren Kindern spazieren, Inlineskater fahren und Kinder essen Zuckerwatte. Nicht weit entfernt läuft Musik, die Leute tanzen dort und machen Fotos von sich. Knapp eine Stunde und dreißig östlich stehen sich mehrere tausend Soldaten gegenüber um sich zu töten. Selbst dort, in Kupjansk, kommt morgens noch jemand um den Müll abzuholen und eine alte Frau fegt die Blätter auf dem Gehweg zusammen. Im Hintergrund ab und zu eine Explosion in der Ferne und östlich der Stadt graben Leute Schützengräben aus.

Als Schlusswort kann ich für mich sagen das es eine wertvolle Erfahrung war die, trotz der kurzen Zeit, einen Perspektivwechsel auf manche Dinge ausgelöst hat was positive Folgen für mein eigenes Handeln hinterlassen hat.